Über unsere Gäste

Zurzeit leben etwa 300 Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Ländern in mehr als 20 Unterkünften der Gemeinde Lindlar (Stand: 03/16). Viele von ihnen sind traumatisiert und stehen noch unter dem Eindruck dessen, was sie in ihrem Heimatland an Repressalien und Gewalt erlebt haben. Dem Terror im eigenen Land entronnen, folgte dann meist eine Odyssee durch Nordafrika, Europa oder den Nahen Osten, die nicht selten mehrere Jahre dauerte (Links zum Thema 1, 2, 3).

Viele können und wollen über das Erlebte nicht mehr sprechen und richten ihren Blick lieber nach vorne. Dennoch haben sich einige der Flüchtlinge bereit erklärt, hier ihre Geschichte zu erzählen, um der anonymen Masse der Flüchtlinge ein Gesicht zu geben.

Meine Flucht nach Deutschland

Von O. aus Syrien

Meine Flucht begann Anfang 2013.

An einem Tag im Februar ging ich morgens sehr früh zu einem Freund. Wir wollten Brot kaufen. Die syrische Armee kam an diesem Tag in unseren Ort, um neue Soldaten zu “rekrutieren”. Auf meinem Heimweg von der Bäckerei wurden die Soldaten auf mich aufmerksam. Ich weiß nicht, was die Soldaten glaubten, wer ich sei, aber sie eröffneten ohne Grund das Feuer auf mich.

Zum Glück passierte dies in der Nähe unseres Hauses, sodass mein Vater die Schüsse und meine Hilferufe hörte und mich rettete. Er brachte mich in eine kleine Ambulanzstation. Dort wurde uns geraten, in ein jordanisches Krankenhaus zu gehen. In der Ambulanzstation würde mich die Armee sofort aus dem Krankenhaus einziehen oder im schlimmsten Falle sogar verhaften.

An diesem Tag sagte ich “Auf Wiedersehen” und verließ meine Familie. Ich war grade 17 Jahre alt. Mein Vater rief einen Bekannten an, der jemanden von der jordanischen Armee kannte und brachte mich zu ihm.

In Jordanien kam ich in ein Krankenhaus, wo ich die nächsten zweieinhalb Monate blieb. Nach meiner Entlassung musste ich mir einen Job suchen, weil ich Geld zum Leben brauchte. Daher ging ich nach Amman. Dort fand ich Arbeit und nachdem ich meine Papiere aus Syrien hatte, setzte ich dort mein Studium fort.

Nach einem halben Jahr konnte ich dieses nicht weiter finanzieren.

Ich beschloss, nach Syrien zurück zu gehen, aber der syrische Geheimdienst wartete nur darauf, damit mich die Armee einziehen könnte. Daher wollte ich versuchen, nach Deutschland zu fliehen.

Zunächst flog ich nach Istanbul. Meine Eltern schickten mir etwas Geld, den Rest musste ich selbst aufbringen. Von Istanbul ging es weiter nach Adana. Mit dem Bus fuhr ich dann nach Mersin, wo ich eineinhalb Monate auf meine Weiterreise warten musste. Von Mersin ging es an einen nahe gelegenen Strand, von dem wir Flüchtlinge mit kleineren Booten zu einem großen Containerschiff, das in internationalen Gewässern ankerte, gebracht wurden. Die Boote mussten mehrmals hin- und herfahren, bis alle 97 Flüchtlinge auf das Schiff gebracht wurden. Insgesamt waren wir 325 Menschen an Bord.

Nach ein paar Tagen, in denen immer wieder Flüchtlinge ankamen, fuhren wir in Richtung Ägypten. Circa eine Woche später ankerten wir vor Alexandria, wo Lebensmittel und Treibstoff geladen wurden. Der Halt dauerte zwei Tage. Die gesamte Zeit, auch während der Überfahrt, durften wir nicht an Deck.

Unsere Tagesration an Essen bestand aus einer Handvoll Oliven und einem Fladenbrot. Ungefähr 5 Tage später stoppte uns die italienische Marine und brachte uns nach Catania. Dort übernachteten wir und am nächsten Tag ging es mit einem Flugzeug nach Padua. Dort kamen wir in ein Flüchtlingslager, von da aus ging es weiter nach Mailand.

Von dort durfte ich hingehen, wohin ich wollte. Ich fand einen Weg über Österreich mit dem Auto nach München. Dort beantragte ich Asyl. In München musste ich meinen Pass abgeben und dort wurden meine Fingerabdrücke genommen. Von München ging es nach Köln. Von dort nach Dortmund , weiter nach Neuss und schließlich nach Lindlar.

Die ganze Flucht dauerte fast zweieinhalb Jahre und ich war fast die ganze Zeit auf mich allein gestellt. Kontakt zu meiner Familie hatte ich nur über mein Handy.

Seit Dezember 2014 bin ich als Flüchtling anerkannt und im März 2015 soll ich meinen Pass erhalten.

Jetzt will ich schnell Deutsch lernen und hoffe, dass eines Tages meine ganze Familie mich hier in Deutschland besuchen kann.